Grasing_Kontrolle_Moment(6)

Weidesysteme

Grundsätzlich liefert die Weide das Futter für die Tiere, sie bietet eine hohe Bewegungsfreiheit und ermöglicht es den Tieren, ihrem natürlichen Verhalten nachzukommen. In der landwirtschaftlichen Praxis erweist sich Weidehaltung zunehmend als schwierig. Die seit Jahren fehlende, technologische Innovation im Zuge des smart farmings in der Weidewirtschaft, macht die Weidehaltung derzeit wenig konkurrenzfähig und attraktiv für Landwirte. Es bedarf dringend der Entwicklung von alternativen Technologien zur Steuerung der Weidetiere. 

 Virtuelles Zäunen – eine Zukunftstechnologie für eine effiziente und nachhaltige Weidenutzung 

Flexibel und dynamisch einsetzbare virtuelle Zäune (virtual fencing) bieten für die Weidewirtschaft eine Alternative zu den starren konventionellen Weidezäunen. Wissenschaft und Praxis sehen das hohe Potential dieser Technologie für sowohl die produktionsorientierte, intensive Grünlandwirtschaft als auch für die extensive Weidewirtschaft mit dem vorrangigen Ziel der Landschaftspflege. Virtuelles Zäunen ermöglicht eine flexible und verbesserte Steuerbarkeit der Zugänglichkeit der Weidefläche durch die Rinder. Dadurch kann der Beweidungsdruck auf der Weidefläche flexibel und präzise angepasst werden. In der Weidewirtschaft spielt kleinteilige Zäunung eine wichtige Rolle. Für die intensive Weidewirtschaft ist die kleinteilige Zäunung innerhalb der Betriebsweidefläche wichtig für die tägliche, bedarfsgerechte Portionierung der verfügbaren Weidefläche und Optimierung des Aufwuchses und der Futterqualität durch Vermeidung von Verbiss und Zertritt. Auch für die extensive Weidehaltung zur Landschaftspflege sind die ökologischen Schutzgüter, die aus Naturschutzsicht zeitweilig aus der Beweidung genommen werden müssen, oftmals kleinräumig angeordnet und erfordern eine kleinteilige Auszäunung. 

Das virtuelle Zäunen dient der Bewegungs- und Beweidungskontrolle von Rindern durch Ausgrenzen von bestimmten Teilbereichen der Weide. Systeme des virtuellen Zäunens bestehen aus einem Halsband, das am Nacken der Tiere angebracht wird. Bei Annäherung an eine virtuelle (nicht sichtbare) Grenze sendet es akustische Warnsignale in Form einer Tonskala mit zunehmender Frequenz, ähnlich dem Piepton der Einparkhilfe, aus. Versucht das Tier das durch den virtuellen Zaun ausgegrenzte Flächenstück der Weide zu betreten, folgt nach den akustischen Warnsignalen der elektrische Impuls. Das akustische Vorwarnsignal des virtuellen Zäunens ersetzt das visuelle Signal des konventionellen Weidezaunes und kündigt den elektrischen Impuls an. Die Impulsenergie des elektrischen Impulses des virtuellen Zäunens beträgt ein Zehntel verglichen mit der eines sichtbaren Elektroweidezaunes. Über eine App werden die virtuellen Zäune auf der Weidefläche mithilfe einer Satellitenkarte gesetzt. Flächenabschnitte, die von den Rindern gar nicht oder zeitweise nicht beweidet werden sollen, werden so ausgegrenzt. Virtuelle Zäune sind die Voraussetzung des ‚virtual herdings‘, also von Weidesystemen ohne Zäune. Auf diese Weise können der aktuelle Futterbedarf der Weidetiere und das den Tieren auf der Weide zur Verfügung stehende Futter optimal aufeinander abgestimmt werden. Gleichzeitig können ökologisch sensible Bereiche und Habitatstrukturen z.B. Bereiche mit Wiesenbrüternestern, Altgrasinseln für Schmetterlinge und Heuschrecken, zumindest zeitweilig, aus der Nutzung genommen werden. Dies eröffnet die Möglichkeit Weidesysteme besonders nachhaltig zu gestalten. 

Management großer Tierherden, ausgedehnte und für die Weidetiere oftmals schwer zugängliche Weideflächen und die Notwendigkeit umfangreichen Zäunens in der klassischen Weidewirtschaft verdeutlichen das disruptive Potenzial der innovativen, zaunlosen Tierlenkungstechnologie. Die Entwicklung und Anwendung dieser Technologie muss die in der Praxis vorherrschende große Variation der Bedingungen für die Weidewirtschaft berücksichtigen. Milchkühe, die nach dem neuseeländischen System die Futterenergie weitgehend aus Weidegras beziehen, benötigen zur hinreichenden Energieversorgung ein- bis zweimal je Tag neues Weideland mit jungem Futteraufwuchs, der dann jeweils genau den Futterbedarf der Herde für einen bzw. einen halben Tag deckt. Zaunlose Weidetechnik kann hierbei den Arbeitsaufwand drastisch reduzieren, den Gewinn erhöhen und die Bedeutung der Weidehaltung steigern. Tierlenkungstechnologie kann auch in Offenland-Naturschutzgebieten eingesetzt werden. Virtuelles Zäunen erlaubt es hier, den aus ökologischer Sicht notwendigen, aber klein räumig variierenden Beweidungsdruck präzise einzustellen. Auf diese Weise lassen sich erwünschte Vegetationsstrukturen und Diversitätsmuster erzeugen und entwickeln. Die Technik eröffnet damit die Möglichkeit einer sehr zielgenauen, räumlich differenzierten Landschaftspflege durch Beweidung. 

Entwicklung innovativer Weidesysteme mithilfe des virtuellen Zäunens als disruptive Tierlenkungstechnologie

Die GreenGrass-Partner Texas Trading und Horizont Group entwickeln im Rahmen des Vorhabens die Tierlenkungstechnologie. Dabei können Sie auf Erfahrungen zurückgreifen, die international in verschiedenen Forschungseinrichtungen gemacht wurden. Auf der Basis der verfügbaren Erfahrungen wird die Technik in den Laboratorien der Partner weiterentwickelt und die verfügbaren Komponenten zu einem funktionierenden System zusammengefügt. Die Tests im Gelände erfolgen auf Erprobungsflächen der Living Labs. Die Entwicklungsarbeiten umfassen auch die Herstellung von Schnittstellen zu den Fernerkundungsdaten (Landschaft) der futterbaulichen und biotischen Ausstattung der Weideflächen.

Parallel zu den Entwicklungsarbeiten der Tierlenkungstechnologie werden Weidesysteme mit Rindern konzipiert, die diese Technologie nutzen. Durch das virtuelle Zäunen entstehen völlig neue Möglichkeiten der Gestaltung der Weidewirtschaft. In der landwirtschaftlichen Praxis übliche Weidesysteme werden nach dem Flächenumfang und der Dauer der Bestockung durch die Weidetiere unterschieden und reichen von der Standweide mit geringer Besatzdichte, über die Umtriebs- und Portionsweide mit steigender Besatzdichte. Diese Kategorien werden durch das virtuelle Zäunen überflüssig, und die Weidewirtschaft kann sehr variabel und äußerst effizient gestaltet werden. Dies soll für verschiedene Produktionssysteme (Milchkühe, extensiv gehaltene Fleischrinder, Landschaftspflegesysteme) und Rahmenbedingungen (Größe und Anordnung des Weidelands im Raum) entwickelt werden. Die Anwendbarkeit dieser neuen Systeme werden in den Living Labs zunächst unter Versuchsbedingungen geprüft und verfeinert werden. Dazu gehört auch die Analyse der Auswirkungen auf die Artenvielfalt. 

Erste Erprobungen des virtuellen Zäunens mit Rindern im Sommer 2020

Auf dem Versuchsgut Relliehausen fand in diesem Jahr ein erster Trainingsversuch des virtuellen Zäunens mit Jungrindern statt. Das Ziel war, die Eignung der Technologie hinsichtlich ihrer Erlernbarkeit, die Auswirkungen auf die Aktivität und das Verhalten der Jungrinder als Indikatoren des Tierwohls zu evaluieren. Der Versuch wurde vom Tierschutzdienst des LAVES (Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) genehmigt (Aktenzeichen: 33.19-42502-04-20/3388). 

Insgesamt wurden 24 Jungrinder über einem Zeitraum von 12 Tagen untersucht. Jeweils 12 Färsen wurden einer Kontrollgruppe (pf-Gruppeund einer virtuellen Zäunungsgruppe (vf-Gruppe) zugewiesen. Die pf-Gruppe war durch das komplette Einzäunen ihrer Weidefläche mit sichtbaren  Elektroweidezäunen gekennzeichnet. Bei der vf-Gruppe wurde eine Seite der Weidefläche durch einen virtuellen Zaun begrenzt, während die verbleibenden drei Seiten mit sichtbaren Elektroweidezäunen umzäunt wurden. Auf der Versuchsweide der vf-Gruppe wurde ein virtueller Zaun zur Ausgrenzung eines Weideflächenstücks von ca.  200 m² aktiviert.  Am 8. Trainingstag wurde der virtuelle Zaun 3 m vorwärts verschoben. So standen ca. 100 m² mehr frische Aufwuchsfläche bereit. 

Das virtuelle Zäunen erwies sich als funktionsfähig, effektiv und zeigte keine nachweisbaren negativen Effekte auf das Verhalten der untersuchten Färsen im Vergleich zur Kontrollgruppe mit konventioneller Zäunung. Das virtuelle Zäunen war hier zu 100 % effektiv die Färsen an der Beweidung der ausgegrenzten Teilfläche zu hindern. Im Trainingsverlauf sank die Anzahl der empfangenen elektrischen Impulse, während die Anzahl der akustischen Signale in diesem Zeitraum anstieg. Die Häufigkeit des Kontaktes mit dem elektrischen Impuls des virtuellen Zaunes ist vergleichbar mit der des sichtbaren Elektrozaunes. Das virtuelle Zäunen als Methode der Bewegungs- und Beweidungskontrolle von Rindern durch virtuelles Ausgrenzen von bestimmten Teilbereichen der Weide wurde erfolgreich erlernt. Im Trainingsverlauf nutzten die Färsen das akustische Signal, um nahe entlang des virtuellen Zaunes mit dem frischeren Aufwuchs zu grasen. Häufig konnte hier beobachtet werden, dass sich die Tiere erst auf der letzten Tonstufe der akustischen Vorwarnmelodie  langsam vom virtuellen Zaun abdrehten ohne einen elektrischen Impuls zu erhalten. Negative Effekte des virtuellen Zäunens auf die Aktivität und das Verhalten der Färsen wurden nicht nachgewiesen. Die Reaktionen der Tiere nach unmittelbarem Kontakt mit dem elektrischen Impuls des virtuellen Zaunes waren vergleichbar mit denen bei Kontakt mit dem sichtbaren Elektroweidezaun. 

Ökologische Analyse der innovativen Weidesysteme

Für die innovativen Weidesysteme wird auch das Potenzial für die Artenvielfalt und daran gekoppelte Ökosystemleistungen analysiert. Durch die gezielte Steuerung des Raum-Zeitverhaltens der Tiere mithilfe des virtuellen Zäunens können die Prozesse beeinflusst werden, die die strukturelle Vielfalt in der Landschaft und damit die Diversität insgesamt fördern. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf die Struktur- bzw. Habitatvielfalt der Landschaft sowie auf die biotische Diversität und deren Funktion auf den Flächen und Teilflächen. Bei der Artenvielfalt liegt der Schwerpunkt auf Taxa, die wichtige Ökosystemleistungen erbringen. Dazu gehören Bestäuber (z.B. Bienen, Schmetterlinge), Antagonisten (z.B. räuberische Käfer), Bodenorganismen (z.B. Regenwürmer), Blütenpflanzen und Habitat-Integratoren (z.B. Vögel). Felderhebungen (ground truhting) werden mit Remote Sensing Daten verknüpft (Landschaft), um Habitat- und Biodiversitätsindikatoren zu etablieren. Perspektivisch können so Informationen zu Blütenressourcen aus den Drohnen-Daten für Prognosen zur Vielfalt und Abundanz von bestäubenden Insektenarten genutzt werden. Gemeinsam mit dem Arbeitspaket Landschaft entwickelt hierzu die Justus-Liebig-Universität Giessen ein proof-of-concept. Auf dieser Basis werden Diversitätskarten generiert, die der Steuerung des Raum-Zeit-Verhaltens mithilfe des virtuellen Zäunens (Tierlenkungstechnologie) der Tiere dienen. Auf den Erprobungsflächen der Living Labs wird vor allem geprüft, wie effizient die landschaftsgestalterischen Maßnahmen (z.B. Einrichtung nicht beweideter Streifen oder von Altgrasinseln) mithilfe der Steuerung des Weidegangs zu einer Erhöhung der Struktur- und Artenvielfalt führen.

 

 

Funktionsprinzip des virtuellen Zäunens.

Jungrinder auf der Weide.

Färse ausgestattet mit einem Halsband eines virtuellen Zäunungssystems (Firma Nofence) und einem GPS-Logger. 

Kurzer Videoclip zum virtuellem Zäunen im Trainingsversuch von Jungrindern (Färsen) auf dem Versuchsgut Relliehausen der Universität Göttingen in Südniedersachsen. Der Trainingsversuch wurde vom Tierschutzdienst des LAVES genehmigt.

Kontrollgruppe des Trainingsversuchs. Einzäunung der Weidefläche erfolgt hier ausschließlich mit sichtbaren Elektroweidezäunen.

Entspanntes Grasen entlang der virtuellen Grenze unter Ausnutzung der akustischen Vorwarnmelodie des virtuellen Zäunungsystems.  

Bestäubende Insekten (z.B. Hummeln)  als Indikatoren der Artenvielfalt im Offenland.